Im Gespräch mit Anne-Marie Stöhr

Ich spreche mit der Malerin und Performerin Anne-Marie Stöhr über Ihre aktuelle Ausstellung im Saarländischen Künstlerhaus mit dem Titel „… went out on a limb“, die noch bis Anfang März zu sehen ist. Der Titel der Ausstellung bedeutet „ ging ein Risiko ein“ und bezieht sich auf emotionale oder schicksalshafte Risiken, die man Individuum eingehen kann. 

Anne-Marie Stöhr, mit kulturellem Hintergrund in Frankreich, Schweden, Deutschland, hat u.a. in Göteborg und an der Hochschule der Bildenden Künste (HBK) Saar studiert. Nach 17 Jahren in Kalifornien lebt sie seit 2019 wieder in Saarbrücken.

Photo Credits:

  1. Ich und Du, 2023*
  2. Built, 2024  © Verena Feldbausch
  3. Nomad One, 2024  © Unbenannter Autor*
  4. Déchirures (My Fortune on a string), 2024
  5. Pieces of Paper, 2024*
  6. Papierarbeiten (Galerieansicht 1) © Anne-Marie Stöhr
  7. Les aléas de la source, 2024*
  8. Ich und Du, 2023*
  9. Argent argenté (The skin you are in), 2024*
  10. Oiseau Rebelle, 2024*
  11. TV Jacket, 2023*
  12. Galerieansicht 2 © Jonas Purdue
  13. Anne-Marie Stöhr vor Nomad One © Verena Feldbausch
  14. Katalog zur Ausstellung „…went out on a limb“

*1,4,5,7,8,9,10,11 © Tom Gundelwein

Das gesamte Interview mit Anne-Marie Stöhr zum Nachlesen

Verena Feldbausch: Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von art talk.
Heute spreche ich mit der Künstlerin Anne-Marie Stöhr, die zurzeit die Ausstellung „…went out on a limb“ im Saarländischen Künstlerhaus zeigt.
Was ist eigentlich ein Künstlerhaus?

Es ist kein Museum, sondern ein Ort, an dem sich alle Künstler einer Region unter einem Dach versammeln.
Nicht nur die bildenden Künstler, sondern auch die Musiker, die Schriftsteller, die Schauspieler, die Filmemacher, die Studenten, denn sie haben hier einen Ort des gemeinsamen Arbeitens und des kreativen Streitens.
Durch die Lage des Saarlandes im Herzen von SaarLorLux blickt das saarländische Künstlerhaus auch über die Grenzen hinaus und thematisiert verstärkt die Gegenwartskunst dieses Kulturraumes.
Ein idealer Ort also für unseren Kunstpodcast „art talk SaarLorLux“.

Wie immer findet ihr in meinem Blog Abbildungen der besprochenen Werke von Anne-Marie Stöhr und ebenfalls im Blog und auf YouTube findet ihr die verschiedenen Sprachversionen, also unser Interview mit deutschen, französischen und englischen Untertiteln.
Viel Spaß beim Zuhören, wünscht euch eure Verena Feldbausch.


Verena Feldbausch: Liebe Anne-Marie Stöhr, herzlich willkommen zu unserem Kunstpodcast „art talk“.
Der Anlass ist Deine aktuelle Ausstellung im saarländischen Künstlerhaus mit dem Titel „…went out on a limb“, die noch bis Anfang März zu sehen ist.
Ich möchte dich kurz vorstellen.
Du bist Malerin und Performerin.
Du bist geboren 1969 in Saarbrücken und du lebst und arbeitest in Saarbrücken.
Diese Daten verraten jedoch nicht, dass du vielsprachig bist.
Du bist geboren als Kind eines deutsch-schwedischen Paares und du hast lange Zeit in den USA gelebt.
Warum sprichst du neben Deutsch, Schwedisch, Englisch auch noch so gut Französisch?

Anne-Marie Stöhr: Ja, weil ich auf der anderen Seite der Grenze aufgewachsen bin, dort in die Schule gegangen bin, in Spichern.
Und meine Eltern waren frankophil, die haben sich in Südfrankreich kennengelernt.
Mein Vater war berufstätig in Frankreich.
Meine Mutter hat die Sprache geliebt.
Sie haben auch sehr viel gelesen.
Und ja, daher.

Malerei als fünfte Sprache und Titel als literarische Gegenwelten

Verena Feldbausch: Ja, das ist sehr interessant.
Du malst ungegenständlich und du betrachtest die Malerei als deine fünfte Sprache.
Was möchtest du mit deiner Kunst ausdrücken oder was möchtest du damit sagen?

Anne-Marie Stöhr: Also, was ich empfinde, ist, dass ich mit Farben und Farbschwüngen sehr viel aussagen kann.
Also, dass die Farben an sich klingen.
Und das ist vielleicht eher etwas, was musikalischer ist als jetzt sprachgerichteter.
Ich trenne das und zwar habe ich die literarischen Titel, die die Werke oft tragen, lyrisch oder literarisch oder witzig, aber die auch oft mit Sprache arbeiten, stehen eigentlich im Gegensatz zu den Bildern.
Also, die sind jetzt keine Erklärungen der Bilder, sondern sind vielleicht Titel, die mir während des Arbeitens einfallen und die so als Pendant dazu nochmal eine konkrete literarische Welt bieten, die aber mit dem Inhalt nichts zu tun hat.

Verena Feldbausch: Genau, auf die Titel kommen wir gleich noch zu sprechen.
Zu deiner Ausbildung, mit Anfang 20 hast du Malerei in Göteborg studiert.

Anne-Marie Stöhr: Mit 20.

Verena Feldbausch: Mit 20.
Mit 23 bist du an die Hochschule der Bildenden Künste Saar gekommen und hast dort freie Kunst studiert mit Schwerpunkt Malerei bei Bodo Baumgarten und Neue Medien bei Ulrike Rosenbach.
Was hast du nach deinem Studium gemacht und warum bist du 2002 nach Kalifornien gezogen?

Anne-Marie Stöhr: Ja, also nach meinem Studium hatte ich erstmal ein Arbeitsstipendium vom Deutsch-Französischen Jugendwerk und war sechs Monate in Grenoble und habe da gearbeitet.
Und dann bin ich zurückgekehrt nach Deutschland und habe erstmal nicht so genau gewusst, wo es hingeht.
Ich wollte ursprünglich, glaube ich, nach Schweden und habe dann aber meinen damaligen Mann kennengelernt und dann sind wir gemeinsam, er war Amerikaner, da sind wir gemeinsam nach San Francisco in seiner Heimatstadt.

Verena Feldbausch: Ja, das war der Grund.
Okay.

Anne-Marie Stöhr: Das war der Grund.

Einfluss der USA auf die Farbpalette

Verena Feldbausch: Und dann hast du ja 17 Jahre in den USA gelebt. Du bist 2019 nach Saarbrücken zurückgekommen. Wie hat dich diese Zeit in den USA künstlerisch geprägt?

Anne-Marie Stöhr: Sehr stark und zwar über die Farben auch. Also am Anfang war es nicht ganz einfach, also eine Umstellung. Sprachlich war ich da ganz okay, ich konnte ja ganz gut Englisch schon, aber trotzdem ist die Kultur sehr anders und man ist sehr weit weg von zu Hause. Und was ich da gefunden habe, war einfach die Liebe zur Natur. Die Natur ist wunderbar und sehr, sehr schön.
Ich bin damals mit meinem Sohn auch sehr viel spazieren gegangen und habe mich da sehr zu Hause gefühlt in der Natur.
Und eben da sind die Lichtverhältnisse sehr besonders durch den Pazifischen Ozean, den ich besonders liebe. Durch das Klima blüht es ja zwei, dreimal im Jahr auch.
Und alle diese Pflanzen, die wir hier als Hauspflanzen haben oder als Gartenpflanzen, wachsen dort wild.
Also Kala-Lilien blühen im Frühjahr überall und Bougainvilleas sind riesig. Und es gibt einfach sehr viele Farben. Und dann dazu noch der blaue Himmel, dann die Painted Ladies, die Häuser von San Francisco. Das alles hat mich sehr geprägt, farblich geprägt und floss dann recht direkt in meine Bilder über.

Verena Feldbausch: Also wenn du vergleichst deine Arbeiten, quasi die du noch in Deutschland, also vor dem Kalifornien-Aufenthalt gemacht hast, mit denen dann danach, sieht man da eine echte Farbvarianz?

Anne-Marie Stöhr: Ja, absolut. Da hat sich meine Farbpalette sehr geändert. Man muss sagen, ich hatte jahrelang mit Schwefel erst gearbeitet, auch während des Studiums, und fing dann an, mit Tusche auf Papier zu arbeiten. Und da war es sehr von schwarzer Tusche getragen mit Farbnuancen. Dann habe ich auch Installationen gemacht, wo ich Farbbahnen gemalt habe und meine Zeichnungen hineingehängt habe.
Und als mein Sohn sehr klein war, habe ich sehr viel gezeichnet, weil das einfach einfacher war, also in den Zeiten, wo ich mich nicht um ihn kümmern musste, als er Baby war, da konnte ich sehr schnell eben kleinformatige Zeichnungen herstellen und habe gar nicht mehr so gemalt.
Also es war immer weniger Farbe, es war sehr reduziert und dann auf großformatigen Papierbahnen hatte ich dann immer noch sehr viel weiße Fläche, auch als ich immer mehr farbige Tusche dazu genommen habe.
Und ja, das hat sich dann langsam verändert zu den farbigen Tuschen, die ich auch heute noch benutze, aber sukzessive wurden sie immer stärker.

Rückkehr nach Deutschland und künstlerische Neuorientierung

Verena Feldbausch: Zurück in Saarbrücken 2019, wie war das für dich, wieder in Deutschland zu leben und zu arbeiten und wie hast du künstlerisch hier wieder Fuß gefasst?

Anne-Marie Stöhr: Also ich hatte ja schon in den USA irgendwie so ein bisschen vorgeplant und habe gedacht, dass ich wahrscheinlich wieder nach Europa zurückgehe, entweder nach Schweden oder nach Deutschland und habe dann so ab, ich glaube, 2015 angefangen, einmal in Schweden auszustellen, dann in Deutschland, dann wieder Schweden, dann wieder Deutschland, um auch den Weg zu eben, damit es für mich leichter wird, aber auch um Kontakte wieder zu knüpfen mit Künstlerfreunden und -Freundinnen. Mit einigen war ja der Faden nie abgerissen, und von daher war es eine weiche Landung. Und dadurch, dass ich hier studiert habe und viele meiner Mitstudentinnen und -studenten noch hier sind, war der Anschluss relativ einfach.

Das hat sehr viel geholfen und war sehr, sehr schön, sich wieder zu finden.Ich fand, die Arbeitsbedingungen sind hier in Deutschland, in Europa natürlich sehr viel besser als in den USA und das war toll. Das war einfach, das muss man sagen, das ist toll, weil in den USA gibt es einfach für das Mittelfeld der Künstler keine Fördermöglichkeiten, keine Häuser wie jetzt das Künstlerhaus und so weiter, die subventioniert sind und kein Atelierhaus wie das Kuba. Das ist ja sehr wichtig. Und dass die Künstler gefördert werden, damit sie auch ihre Arbeit machen können und auch wahrgenommen werden.
Und das hat mir sehr gut getan. Was, naja, ansonsten ist es natürlich sehr anders, wenn du dann von einem Land ins nächste wechselst und 17 Jahre ist ja fast ein ganzes Leben.
Da ist man sehr, ich bin schon sehr geprägt durch Kalifornien und bin auch anders geworden. Und da fehlt mir auch sehr viel.

Verena Feldbausch: Bist du regelmäßig dort, wieder in Kalifornien und besuchst die Freunde?

Anne-Marie Stöhr: Ich wünschte, ich könnte es regelmäßiger machen, aber das ist eine Kostenfrage.
Ja, ja.

Verena Feldbausch: Du bist ja auch seit 2017 im Saarländischen Künstlerbund.

Anne-Marie Stöhr: Ja.

Verena Feldbausch: Und auch hier im Künstlerhaus warst du auch mal aktiv, meine ich.

Anne-Marie Stöhr: Genau, da war ich zwei Jahre lang im Vorstand.
Ja, das hat mir sehr gut gefallen.
Das fand ich sehr schön, auch da noch mal kulturpolitisch und mit anderen Künstlern und mit Schriftstellern zusammen was auf die Beine zu stellen.

Risiko in der Kunst: Von der Idee zur Leinwand

Verena Feldbausch: In deiner aktuellen Ausstellung im Saarländischen Künstlerhaus zeigst du sechs großformatige abstrakte Gemälde auf Leinwand.
Und der Titel der Ausstellung „…went out on a limb“ heißt übersetzt „…ging ein Risiko ein oder „…habe mich zu weit aus dem Fenster gelehnt“.
Worauf beziehst du dich und welches Risiko gehst du bei deiner Malerei ein?

Anne-Marie Stöhr: Also das erste, worauf ich mich beziehe, ist natürlich mein Umzug von den USA hier nach Deutschland, nach Europa.
Weil es ist ja ein Riesenrisiko und das war eine Entscheidung, die war sehr schwierig.
Ich habe wochenlang nicht geschlafen. Ich hätte genauso gut dort bleiben können und es wäre auch gut gewesen, wenn ich dort geblieben wäre. Es ist gut geworden, dass ich hierher gekommen bin.
Also es sind solche Entscheidungen.
Zum Glück bin ich im Guten gegangen. Das ist ja auch was Schönes.
Ja, aber das ist natürlich ein Risiko, ein riesiges. Und darauf beziehe ich mich.

Und dieses, also beim Malen gehe ich jedes Mal ein Risiko ein, weil ich keine Skizzen mache.
Ich habe vorher kein Bild, was konkret schon existiert, das ich dann irgendwie auf die Leinwand oder auf Papier bringe, sondern es entsteht während des Machens.
Und das ist eben die große Überraschung. Und das ist mir auch wichtig, dass ich das für mich als Künstlerin so auch entwickelt habe, um nach so vielen Jahren, ich mache das ja über 30 Jahre, über 35, 40 Jahre lang jetzt und dass es für mich noch interessant bleibt.

Verena Feldbausch: Das heißt, du machst keine Vorzeichnungen, planst die Komposition nicht, planst du die Farben?

Anne-Marie Stöhr: Ja, also planen würde ich es nicht nennen, sondern es ist oft so, dass ich in Serien oder in Perioden arbeite.
Dann habe ich eine besondere Palette und dann entsteht quasi so vielleicht auch ein Bild aus dem nächsten, aus dem vorherigen.
Und das entwickelt sich dann in einer bestimmten Periode und dann verändern sich die Paletten auch wieder oder wenn sich da noch was anderes einschiebt, was gerne da sein möchte.

Verena Feldbausch: Wie lange brauchst du denn – das kannst du wahrscheinlich auch nicht ganz pauschal sagen – also wie lange hat zum Beispiel dieses Bild hier gedauert zu malen?

Anne-Marie Stöhr: Ja, das kann ich allerdings nicht pauschal sagen, weil es immer sehr darauf ankommt, ob ich, wie sehr ich gerade im Fluss bin. Also man muss sagen, die großen Formate, es ist eine sehr physische Leistung. Ich bespanne die und grundiere die ja selbst und es ist physisch anstrengend. Und ich bin jetzt nicht so die handwerklich begabteste Person.
Also ich wurschtel da, ich kämpfe da immer mit diesen Teilen und klopfe und bespanne die und dann sind sie erst mal bespannt, dann muss ich es grundieren, dann muss ich immer warten.
Das ist immer das Schlimmste.

Also man kann dann gar nicht direkt anfangen zu malen. Und je nachdem wie oft ich es grundiere, muss ich dann eben auch warten. Dann die erste Phase des Malens ist diejenige, die den Grundstein legt und das ist die Tusche-Phase. Dann ist das Bild auf dem Boden flach und dann arbeite ich mit dem Pinsel. Und je nachdem, also da kommt es einfach darauf an, welchen Pinsel ich nehme, welche Farbe ich nehme, welchen Farbklang ich da gerade haben möchte. Und wenn ich das Gefühl habe, so, das ist erst mal gut, dann lasse ich das stehen und dann muss ich 24 Stunden warten, weil es so lange braucht zum Trocknen.
Wenn ich dann am nächsten Tag reinkomme, kommt es darauf an, ob ich dann das Gefühl habe, ich will da nochmal mit Tusche reingehen. Dann muss ich nochmal 24 Stunden warten, bis die nächste Phase kommt und dann kommt erst die Phase mit der Acrylmalerei.

Und dann ist es ganz normal, also an die Wand gelehnt und dann male ich. Und weil ich ja immer von Farbauftrag auf Farbauftrag reagiere, kommt es darauf an. Manchmal kommt es richtig gut, ja, dann ist der Prozess vielleicht schneller, dann sitzt das Bild vielleicht schneller. Dann kommt es immer wieder darauf an, wenn ich dann am nächsten Tag nochmal hingehe, sitzt es wirklich oder ist es langweilig? Vielleicht gehe ich da nochmal dran Also es kann, ja, von zwei Wochen bis zu einem Monat und vielleicht erweist sich das Bild dann immer noch nicht als fertig. Das kann man gar nicht so genau sagen.

Verena Feldbausch: Wirfst auch manchmal Bilder weg?

Anne-Marie Stöhr: Ja, sehr viel.
Ich werfe und zerstöre sehr viel.

Verena Feldbausch: Und diese Tusche, das ist diese Geste, die man so sieht, diese breiten Pinselstriche, die sind mit Tusche gemalt, oder?

Anne-Marie Stöhr: Ja.

Verena Feldbausch: Genau, jetzt möchte ich nochmal auf die Titel der Bilder eingehen.
Also du wählst ja oft literarisch anmutende Titel für deine Gemälde aus.
Wie findest du die Titel?
Kommen die aus Büchern, die du gerade liest, oder woher kommen die Titel?

Anne-Marie Stöhr: Auch das ist ganz unterschiedlich.
Also hier zum Beispiel „Ich und Du“ ist der Titel des Buches von Martin Buber.
„Ich und Du“ und das hat mich sehr bewegt.
Und deswegen habe ich das gleich so übernommen, weil es auch, ich mag auch einfache Sprache und einfache Titel manchmal.
Ja, dieses Bild heißt „Built“, aber B-U-I-L-T, das ist natürlich ein Sprachspiel.
Und das, ja, fand ich witzig.
Ich habe da jetzt diese Neonziegelsteine, die tauchen seit 2018 in meinen Werken auf.
Das fing damit an, dass ich eine Ausstellung hatte in den USA, wo ich ein Bild an die Wand auf zwei

neonfarbenen Klötzen gestellt habe, gelehnt habe.
Und das war einfach so in der Schaffensphase, da habe ich mit Neon im Bild gearbeitet und dann lagen diese Klötze da auch vor meinem Atelier rum.
Und die hatte ich dann bemalt mit dem Neonorange und es hat mir sehr gut gefallen, auch weil es auf der einen Seite, dieser Backstein ist sehr belegt, hat was mit konstruieren und Bauen zu tun, dann war es für mich auch so eine Farbe, die zu Material geworden ist, die in den Raum geht und die Kombination hat mir gut gefallen.
Und das Bild, ich spreche deswegen so lange darüber, weil es auch so zentral ist im Zusammenhang mit der Installation hier vorne, „Nomad One“, da geht es ja auch um das Nomadische und das Bauen, das Aufbauen und das Abbauen.

Verena Feldbausch: Das ist ja bei dir öfters, dass du Bilder hast und irgendwelche Installationen, die farbig gestaltet sind, davor stellst, aus Holz auch zum Teil, also jetzt mit diesem Backstein, genau, aber aus Holz habe ich das auch schon gesehen. Genau, und jetzt gehen wir aber gerne zu der raumgreifenden Arbeit „Nomad One“ über. Das ist also ein beidseitig bemaltes Gemälde, das von der Decke herabhängt und mit bunten Seilen, wie so ein Zelt beschwert ist. Kannst du mir da drüber was sagen? Wie war da deine Herangehensweise?

Anne-Marie Stöhr: Ja, also ich hatte 2023 eine Residenz in Schloss Wiepersdorf und da ist es ja so, also das ist in Brandenburg.
Ich bin mit meinem kleinen Auto hingefahren und hatte dann überlegt, also was ich in zwei Monaten dort machen werde und wie ich das zurück transportieren kann.
Da habe ich einfach Leinwand, eingerollte Leinwand und nicht aufgespannt, sondern hatte eben großformatige Bilder gemalt, wie ich sie auch immer male und dann allerdings die Ränder eingenäht, von Hand eingenäht und eben mit so einem Stanzgerät diese Nieten eingestanzt und Nylonschnüre, bunte Nylonschnüre auch farbig benutzt.
Und daraus entstand die Idee, dass ich eben auch so ein Bild beidseitig bemalen kann oder vielleicht quer durch den Raum spannen und mit der Hängung auch nochmal experimentieren kann.

Der Raum, also das Atelier in Wiepersdorf, die sind sehr, sehr groß und da konnte ich mir eben diese Freiheit groß zu denken wirklich erlauben.
Und das habe ich, diese Arbeit habe ich zwar hier in Saarbrücken gemacht, aber zum ersten Mal jetzt hier im Künstlerhaus ordentlich gehängt gesehen, weil mein Atelier nicht groß, nicht hoch genug war.

Nomad One: Mobilität und Schutz in der Kunst

Verena Feldbausch: Und Nomad One weist ja auf Nomaden hin, also auf ein Zelt.

Anne-Marie Stöhr: Durch diese Portabilität und Mobilität dieses Bildes und dass man es einrollen kann, mitnehmen kann und eben auch vielleicht überlegen, wo kann es, das könnte ja auch im Außenraum, das könnte im Wald hängen, das könnte in der Kirche hängen, das könnte eben im White Cube hängen.
Das war die Idee, aber auch so die Idee des Zeltes oder des Segels.
Also, dass dann nochmal ein Bild sich aus dem Rahmen löst und vielleicht mehr in den Raum oder vielleicht auch als Schutzraum wirkt.
Also, weil die Farbe, also gerade in dieser Monumentalität wirkt ja nochmal anders.
Also, hat ja nochmal so eine Kraft irgendwie.
Und da sehe ich das auch so ein bisschen als einen Schutzraum, als ein Haus oder ein Schutzzelt.
Ja, man kann es auch anders hängen.
Dasselbe Werk kann auch anders gehängt und anders präsentiert werden.

Verena Feldbausch: Ja, stimmt.
Und in dem ersten Raum, sollen wir da mal kurz hingehen?

Anne-Marie Stöhr: Ja.

Verena Feldbausch: Da hängen ja noch an der Wand verschiedene Objekte.
Das sind also solche Leinwände, die eigentlich zerrissen sind oder?

Anne-Marie Stöhr: Das ist Papier, Papier, was gerissen ist.
Also hier das ist „Déchirures (My Fortune on a String)“.
„My Fortune on a String“, das kam durch ein Lied.
Da habe ich Cat Power gehört beim Malen und da ist dann irgendwie so ein Satz des Liedes.
Da singt sie das, und das habe ich dann gerade mitgenommen.
Und ich fand das interessant, hier so eine Niete reinzustanzen in das Papier und dann eben das als Objekt zu verarbeiten und mit diesem Reißen es nochmal als Objekt, als dreidimensionales Objekt nochmal ein bisschen umzuwandeln.

Verena Feldbausch: War das etwas, was du eigentlich schon zerrissen hattest oder war das etwas, was du so geschaffen hast?

Anne-Marie Stöhr: Nein, also es war ein Bild aus dem nichts wurde und was ich in Wut zerrissen habe und dann habe ich gemerkt, wow, das sieht aber gut aus.
Und dann kam dann aus dieser wütenden Destruktion wieder ein Kreativblitz.

Verena Feldbausch: Ja, sehr schön.
Und wahrscheinlich ist das hier ähnlich.
Also wie heißt dieses Werk jetzt?

Anne-Marie Stöhr: „Pieces of Paper“, also ein ganz einfacher Titel.
Das war ganz ähnlich und ist dann irgendwie so zusammen gebastelt worden.

Verena Feldbausch: Dann kommen wir jetzt zu den Papierarbeiten.
Das ist jetzt auch Tusche?

Anne-Marie Stöhr: Das ist Tusche.

Verena Feldbausch: Gibt es da auch Titel?

Anne-Marie Stöhr: Ja, die meisten heißen „Summer Breeze“ oder eine Abwandlung davon „Summer Breeze 1, 2, 3, 4“.
Das hier heißt, glaube ich, „Pink and Purple“.
Da geht es dann um die Farben.

Verena Feldbausch: Die meisten heißen „Summer Breeze“ oder eine Abwandlung davon „Summer Breeze 1, 2, 3, 4“.
Die habe ich auch in Wiepersdorf gemalt, gezeichnet. Die Arbeiten auf Papier.
Da war es natürlich Sommer und es war sehr warm. Und einfach so diese Freiheit in diesem Sommer, in diesem großzügigen Atelier und dann einzufangen, wie das Wetter und die Wärme und die Natur um einen herum wirkt. Das ist irgendwie so etwas, was hier in diesen Pinselstrichen zu sehen ist.

Verena Feldbausch: Das kommt auch irgendwie total rüber, finde ich.

Anne-Marie Stöhr: Einfach so ein Glück.

Verena Feldbausch: Jetzt sind wir in dem zweiten Ausstellungstraum mit den sechs großformatigen Gemälden.
Sollen wir einfach mal hier so rumgehen?

Anne-Marie Stöhr: Genau.

Verena Feldbausch: Das Bild heißt „Les Alliés de la Source“ – „Die Unwägbarkeiten der Quelle“.
Das wurde mir geschenkt, der Titel.

Anne-Marie Stöhr: Von einem Freund.

Verena Feldbausch: Der hat gesagt, das könnte so heißen?

Anne-Marie Stöhr: Genau.

Verena Feldbausch: Das ist ja auch eine schöne Idee, dass man einen Freund fragt, ob er einen Titel dafür hat.
Ist das ein Schriftsteller?

Anne-Marie Stöhr: Ja, genau.

Verena Feldbausch: Okay, das klingt ja natürlich sehr poetisch.
Und dieses Bild hier, das ist so fast Tarnfarben.
Das Grün ist so eine Tarnfarbe, aber es gibt auch sehr viel Pink oder Rosa.
Wie ist der Titel?

Anne-Marie Stöhr: „Ich und Du“ frei nach Martin Buber.

Verena Feldbausch: Genau.

Anne-Marie Stöhr: Ich kann da gar nicht sagen, worum es mir geht.
Es sind da keine intellektuellen Vorgänge, sondern es hat wirklich was mit Farbempfinden, mit Raumempfinden, Sommer, Freiheit.
Ich denke, ich bin da sehr beeinflusst durch die Farben, die um mich herum sind.

Verena Feldbausch: Kommen wir mal zu dem Bild, wo das Grau vorherrscht.
Wie ist da der Titel?

Anne-Marie Stöhr: „Agent Argenté“ – „The Skin You’re In“.
Da habe ich Silber verwendet.
Deswegen dieser Silber-Agent, also als „Agent“, Silver Agent, als Transport, also Farbe als Vehikel sozusagen.

Verena Feldbausch: Deine Titel sind ja auch dann oft in Französisch und Englisch.

Anne-Marie Stöhr: Ja, im Moment.

Verena Feldbausch: Ja?
Waren die auch schon mal Schwedisch und Deutsch?

Anne-Marie Stöhr: Ja, mit Sicherheit.
Ich denke, also die früheren Arbeiten, als ich noch frischer aus Schweden kam, schon.
Also ich schreibe zum Beispiel Tagebuch auf Schwedisch, aber ich hatte jetzt, ich habe mir angewöhnt in den USA, dadurch, dass ich dort gelebt habe, die meisten Titel auf Englisch zu machen.
Das ändert sich jetzt ein bisschen noch mal, aber Englisch ist trotzdem noch sehr präsent.

Verena Feldbausch: Und dann würde ich sagen, kommen wir zu diesem Bild hier.

Anne-Marie Stöhr: Das heißt „Oiseau Rebelle“.

Verena Feldbausch: „Oiseau Rebelle“, okay.
Der rebellische Vogel.

Anne-Marie Stöhr: Ja, das ist ja aus der Arie.
„L’amour est un oiseau rebelle“, ist doch dieses, ne?

Verena Feldbausch: Ja, das macht natürlich irgendwas, diese Titel, mit den abstrakten Werken, also mit den ungegenständlichen Werken, sagen wir mal so.
Man sucht da irgendwie einen Vogel.

Anne-Marie Stöhr: Nee, das ist kein Vogel.
Nee.
Das ist der Flug des Vogels.

Verena Feldbausch: Ja, also man kann da ganz viel interpretieren.

Anne-Marie Stöhr: Oder der Gesang des Vogels.

Verena Feldbausch: Über dieses Bild haben wir schon am Anfang gesprochen.
Es heißt „Built“ und ist auf diesem Pflasterstein in Neon platziert.
Und schließlich bleibt noch dieses hier, wo man sehr viele Blautöne sieht.
Also das hier ist Tusche?

Anne-Marie Stöhr: Das ist alles Tusche.
Das ist „Acryl“.
Das ist Tusche.
Also du siehst, das geht alles so ineinander über.

Verena Feldbausch: Und wie ist der Titel von diesem Bild?

Anne-Marie Stöhr: „TV Jacket“.
Ist ein bisschen mysteriös, ja.

Verena Feldbausch: Zur Ausstellung erscheint auch ein Katalog.
Wann erscheint er?

Anne-Marie Stöhr: Er erscheint am 14. Februar.
Da gibt es auch ein Künstlergespräch mit Jörg Gronius zur halben fünf.
Also um halb fünf, Freitag am 14. Februar.

Verena Feldbausch: Genau, das ist auch noch ein weiteres Event, was jetzt im Rahmen deiner Ausstellung feststeht.

Anne-Marie Stöhr: Ja, genau.

Verena Feldbausch: Ja, vielen Dank.
Oder möchtest du noch irgendwas sagen?

Anne-Marie Stöhr: Naja, also ich hoffe, dass viele Leute herkommen und sich die Ausstellung ansehen. Ich finde, Farbe hat ja absolut eine Kraft und auch eine Dynamik. Und ich hoffe, dass es rüberkommt, was ich versuche zu sagen, mit Farbe und Dynamik.

Verena Feldbausch: Sehr schön, vielen Dank.
Super.

Anne-Marie Stöhr: Ich danke dir.

Verena Feldbausch: Ich lade euch herzlich ein, diese farbenfrohe Ausstellung von Anne-Marie Stöhr im Saarländischen Künstlerhaus zu besuchen.
Sie ist noch bis zum 2. März hier zu sehen.
Und davor, am 14. Februar, findet hier ein Künstlergespräch mit Jörg Gronius statt.
Alle Infos findet ihr, wie immer, in den Show Notes.
Vielen Dank für euer Interesse und bis zum nächsten Mal, eure Verena Feldbausch.

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Mehr Infos zu dem Podcast findest du in den Show Notes und in unserem Blog.
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