Im Gespräch mit Prof. Dr. Christiane Solte-Gresser über die Ausstellung im Weltkulturerbe Völklinger Hütte

Im zweiten Teil unseres Kunstpodcasts spreche ich mit Prof. Dr. Christiane Solte-Gresser über den Beitrag des Käte-Hamburger-Kollegs für kulturelle Praktiken der Reparation an der Universität Saarbrücken zur Ausstellung im Weltkulturerbe Völklinger Hütte. Im Mittelpunkt stehen die Künstlerinnen Zineb Sedira, Géraldine Tobe und Memory Biwa, die als Artist-in-Residence und als Fellows eingeladen waren, an der Ausstellung vor Ort mitzuarbeiten. Ausserdem erfahrt ihr, wer Käte Hamburger war und über welche Themen das Kolleg hier in Saarbrücken forscht. Wir laden euch ein, mit Hilfe unserer Kunstpodcasts – Teil 1 und 2 – mehr über diese faszinierende Ausstellung zu erfahren – vor oder nach eurem Besuch in Völklingen -, um dann die wahre Größe Afrikas tatsächlich besser ermessen zu können.

Foto Credits:

1 Zineb Sedira: Standing Here Wondering Which Way to Go, 2019
2 Zineb Sedira, Standing Here Wondering Which Way to Go, 2019
3 Memory Biwa: Ozerandu, 2024
4 Biwa Memory : Ozerandu, 2024
5 Memory Biwa: Ozerandu, 2024
6 Géraldine Tobe: Ausschnitt aus Empty Song/Vide Cantique 2022
7 Géraldine Tobe: Empty Song/Vide cantique 2022
8 Géraldine Tobe: Atelierarbeiten im WKE VH, 2024

 

 

Das gesamte Interview mit Prof. Dr. Christiane Solte-Gresser zum Nachlesen:

Verena Feldbausch: Wir reden über Kunst bei art talk, dem Kunstpodcast aus SaarLorLux. Wir treffen Kuratorinnen und Künstlerinnen dort, wo sie gerade ausstellen. Mit uns entdeckt ihr zeitgenössische Kunst und außergewöhnliche Kunsträume in unserer Region. Werdet Teil von Galeriegesprächen, Ausstellungseröffnungen und Finissagen. art talk hört ihr überall dort, wo es Podcasts gibt.

Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von art talk. Bevor wir loslegen, noch ein Hinweis in eigener Sache: Alle Werke, über die wir gleich sprechen, findet ihr als Abbildungen in meinem Blog. Der Link dazu steht in den Show Notes.

Heute spreche ich im zweiten Teil unseres Podcasts mit Frau Prof. Dr. Solte-Gresser. Sie leitet zusammen mit Prof. Dr. Markus Messling das Käte-Hamburger-Kolleg in Saarbrücken und berichtet uns über den Beitrag des Kollegs zur Ausstellung „The True Size of Africa“. Ich bin Verena Feldbausch und freue mich, dass ihr zuhört.

Verena Feldbausch: Hallo Frau Dr. Solte-Gresser und vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mit mir zu sprechen. Unser Thema ist die Zusammenarbeit zwischen dem Weltkulturerbe Völklinger Hütte und dem Käte-Hamburger-Kolleg für kulturelle Praktiken der Reparation an der Universität des Saarlandes für die Ausstellung „The True Size of Africa“. Was ist der Beitrag des Kollegs zur Ausstellung „The True Size of Africa“?

Prof. Dr. Solte-Gresser: Ja, es ist schon eine ganze Weile her, dass der Generaldirektor der Völklinger Hütte, Ralf Beil, uns gefragt hat, ob wir bei diesem Riesenprojekt mitmachen möchten, die Ausstellung vorzubereiten. Das wollten wir sehr gerne. Das war eine tolle Gelegenheit, unsere Forschungsüberlegungen in die breite Öffentlichkeit zu tragen.

Wir haben also dieses ganze Projekt wissenschaftlich ein Stück weit mit begleitet. Wir haben unsere Netzwerke eingebracht und ganz konkret heißt das, dass wir zum Beispiel den Ausstellungskatalog mit herausgeben, dass wir an Texten für die Ausstellung zusammen mit unserem Team gearbeitet haben. Wir haben über das Konzept viel diskutiert. Für uns das Wichtigste und Spannendste aber auch, und das, was man jetzt sieht in dieser Ausstellung ganz konkret, ist, dass wir in unserem Kolleg immer Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen zu Gast haben, die sich in diese Ausstellung mit eingebracht haben.

Unter anderem Elara Bertho, eine Afrikanistin, deren Expertise die Ausstellung bereichert hat, aber auch drei Artists in Residence – Zineb Sedira, Memory Biwa und Geraldine Tobe. Sie waren viele Monate bei uns zu Gast. Wir haben sehr viel über diese Ausstellung gesprochen und sie haben vor allem Kunstwerke vorbereitet, die man jetzt in dieser Ausstellung sehen kann. Das war ein langer, sehr spannender Prozess.

Verena Feldbausch: Wie war die Zusammenarbeit mit den Künstler*innen? Beginnen wir mit Zineb Sedira. Sie ist Französin mit algerischen Wurzeln, war Artist in Residence und hat das Werk mit dem Titel „Standing Here, Wondering Which Way to Go“ für die Ausstellung erschaffen. Ich beschreibe das kurz: Wir sehen einen lebensgroßen Nachbau des Wohnzimmers der Künstlerin. Es enthält zahlreiche persönliche Gegenstände und Möbelstücke, die sie über mehrere Jahrzehnte angesammelt hat. Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit dieser Künstlerin?

Prof. Dr. Solte-Gresser: Das hat eine gewisse Vorgeschichte. Zineb Sedira hat im Jahr 2022 den französischen Pavillon der Venedig Biennale gestaltet. Dort war bereits ein Teil ihres Wohnzimmers zu sehen. Markus Messling kennt sie gut, hat auch zu ihrem Werk geforscht und gearbeitet. Insofern konnten wir an diesen Kontakt anknüpfen. Das war natürlich sehr bereichernd.

Wir haben zusammen die Räumlichkeiten in der Völklinger Hütte besichtigt. Sie war begeistert, wie alle Künstler*innen, die da hereinkommen und sagen: „Wow, da auszustellen, ist etwas ganz Besonderes.“ Sie hat auch intellektuell viel zu unserer Reparationsproblematik beigetragen, etwa durch einen mehrtägigen Workshop mit unseren Fellows. Dort hat sie ihr Werk vorgestellt und wir haben darüber diskutiert. Es ging unter anderem um die Frage, was ein Archiv eigentlich ist, wie ein Archiv arbeitet und was ihr Werk mit Archiven zu tun hat. Das war ein sehr intensiver Austausch.

Verena Feldbausch: Worum geht es in ihrem Werk? Was ist die Aussage? Warum hat sie ihr Wohnzimmer aufgebaut?

Prof. Dr. Solte-Gresser: Im Grunde ist es das Wohnzimmer, in dem sie lebt, ihren Alltag verbringt, in London. Aber dieses Zimmer versetzt uns in die 60er Jahre in Algerien. Es atmet diese besondere Atmosphäre. Man sieht Filmplakate, Bücher – intellektuelle, philosophische, afrikanische Kulturtheorie und Politik aus dieser Zeit. Man sieht Schallplatten. Alles zusammen vermittelt diese Stimmung der 60er Jahre.

Das Werk ist eine Art Archiv eines kritischen Bewusstseins dieser Zeit. Es erlaubt den Besucher*innen, durch den Raum zu gehen, Dinge anzufassen und so selbst in Auseinandersetzung zu treten. Es erinnert an eine Zeit nach der Unabhängigkeit Algeriens, in der es eine große Offenheit und Hoffnung gab, etwa die Idee des Panafrikanismus und internationaler Solidarität. Die Kunst erlaubt uns, die Zeit zurückzudrehen und diese besonderen Momente wiederzuerleben.

Verena Feldbausch: Sehr spannend und auch schön, dass man da wirklich mitmachen kann als Besucher*in. …

Dann gab es die Fellows Géraldine Tobe und Memory Biwa. Zunächst eine grundlegende Frage: Was bedeutet Fellow?

Prof. Dr. Solte-Gresser: Fellows bilden den Kern unseres gesamten Forschungsprojekts. Das Fellow-Programm bedeutet, dass renommierte Wissenschaftlerinnen aus der ganzen Welt zu uns kommen und bis zu einem Jahr mit einem eigenen Forschungsprojekt bei uns arbeiten. Dabei konzentrieren wir uns gemeinsam auf die Reparationsproblematik. Es kommen auch immer Artists in Residence dazu, wie bei der Ausstellung, wo es vor allem bildende Künstlerinnen waren. Im Moment haben wir auch Künstler*innen aus den Bereichen Literatur und Theater bei uns.

Unser Ansatz ist, dass Forschung nicht nur akademisch sein muss, sondern auch Artistic Research umfassen kann. Es geht darum, Erkenntnisse zu gewinnen, die für unser Thema der Reparation wichtig sind. In diesem Zusammenhang haben Memory Biwa und Géraldine Tobe viel beigetragen, künstlerisch wie intellektuell.

Verena Feldbausch: Kommen wir zu Memory Biwa. Sie stammt aus Namibia, und in ihrer Installation spielt die Farbe Rot eine zentrale Rolle. Was ist zu sehen und was ist zu hören in dieser Installation?

Prof. Dr. Solte-Gresser: Ihr Werk trägt den Titel Ozerandu, was in einer Herero-Sprache eine tiefere Bedeutung hat. Memory Biwa verbindet Kunst mit Erkenntnis, indem sie Assoziationen schafft. In der Völklinger Hütte hat sie sich von der Umgebung inspirieren lassen, insbesondere von der Farbe Rot – der Staub und Sand in Namibia sowie die Glut bei der Stahlproduktion.

Die Installation verbindet verschiedene Elemente: das Rot als Lichtfarbe, die unterirdischen Räume der Gebläsehalle, aber auch Klänge. Was wir hören, sind Geräusche, die Materialgewinnung und industrielle Prozesse miteinander verbinden, etwa das Plätschern von Wasser oder Arbeitsgeräusche. Gleichzeitig integriert sie kulturelle Rituale aus Namibia. Diese überlappenden Klänge und Bilder schaffen eine Verbindung zwischen den Orten und Zeiten, die Geschichte und Gegenwart miteinander verknüpfen.

Verena Feldbausch: Sehr eindrucksvoll. Und was können Sie uns über Géraldine Tobe erzählen? Ihr Werk Empty Song besteht aus sieben Bildern, die durch Rauch auf Leinwand entstanden sind. Warum hat sie diese Technik gewählt?

Prof. Dr. Solte-Gresser: Géraldine Tobe hat eine ganz individuelle Technik entwickelt, bei der sie mit kongolesischen Öllampen arbeitet. Der Rauch und der Ruß werden ihr Material, aus dem sie Formen und Figuren erschafft. Die Bilder von Empty Song greifen die Geschichte der Demokratischen Republik Kongo auf, insbesondere die Gewaltgeschichte der Kolonialisierung. Gleichzeitig verweben sich ihre Werke mit ihrer persönlichen Lebensgeschichte.

Eines ihrer Werke zeigt beispielsweise einen Mann auf einem Berg von Totenschädeln, ein anderes eine weiße Figur, die möglicherweise einen Söldner darstellt. Diese Bilder thematisieren die Unterdrückung afrikanischer Traditionen durch den Kolonialismus. Gleichzeitig verarbeitet sie persönliche Erfahrungen – sie galt als „Hexenkind“ und musste Exorzismen über sich ergehen lassen. Für sie hat Feuer eine doppelte Bedeutung: es zerstört, aber es hat auch etwas Kathartisches. In ihren Werken wandelt sie diese zerstörerische Kraft in etwas Produktives um.

Verena Feldbausch: In der Nähe ihrer Werke stehen auch fünf afrikanische Skulpturen. Welche Bedeutung haben diese im Zusammenspiel mit ihren Bildern?

Prof. Dr. Solte-Gresser: Die Skulpturen stammen aus einer bedeutenden Sammlung afrikanischer Kunst eines Saarbrücker Sammlers. Sie stehen in einem Dialog mit Tobes Bildern, aber auch mit den Besucherinnen. Diese Figuren blicken sowohl auf die Hüttenarbeiterinnen als auch auf die Traditionen, die in den Bildern verarbeitet sind. Sie schaffen eine Konstellation, die unsere Vorstellung von Afrika herausfordert und verändert.

Verena Feldbausch: Und abschließend: Was können Sie uns über das Käte-Hamburger-Kolleg und seine Projekte erzählen?

Prof. Dr. Solte-Gresser: Unser Kolleg trägt den Namen der jüdischen Intellektuellen Käte Hamburger, die für uns sinnbildlich für die Problematik einer unterbrochenen Kulturgeschichte steht. Wir beschäftigen uns mit kulturellen Praktiken der Reparation, von klassischen Künsten wie Literatur und Theater bis hin zu religiösen und therapeutischen Ansätzen. Es geht um eine Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Schäden, die oft irreparabel sind.

Unsere Fellows arbeiten an individuellen Projekten, wir veranstalten Tagungen und geben Publikationen heraus. Ein weiteres spannendes Vorhaben ist die Zusammenarbeit mit dem saarländischen Staatstheater. Derzeit ist Kossi Efoui, ein Schriftsteller und Theatermacher aus Togo, bei uns zu Gast.

Verena Feldbausch: Vielen Dank für das spannende Gespräch! Gibt es noch etwas, das Sie hinzufügen möchten?

Prof. Dr. Solte-Gresser: Nur, dass Kunst eine einzigartige Möglichkeit bietet, die Welt auf sinnliche und intellektuelle Weise zu erschließen. Die Ausstellung „The True Size of Africa“ inszeniert diese Themen auf eine Weise, die unter die Haut geht. Ich kann allen nur empfehlen, sie zu besuchen.

Verena Feldbausch: Vielen Dank, Frau Dr. Solte-Gresser. Alles Gute für Ihre weiteren Vorhaben!

Prof. Dr. Solte-Gresser: Herzlichen Dank.

Verena Feldbausch: Nachdem ihr jetzt so viel gehört habt, was es alles zu sehen gibt, macht euch auf ins Weltkulturerbe Völklinger Hütte. Es lohnt sich! Unsere Podcasts wären nicht möglich ohne die Unterstützung des Saarländischen Ministeriums für Bildung und Kultur und von Saartoto – dafür herzlichen Dank. Wir hören uns im nächsten Jahr wieder.

Bis dahin, eure Verena Feldbausch.